Sozialversicherung

Entsendung von Arbeitnehmern: Veränderte Regelungen ab 30.07.2020

Änderungen bei der Entsendung von Arbeitnehmern zur Erbring von Dienstleistungen ab 30.07.2020


Ab dem 30. Juli 2020 gelten veränderte Regelungen bei der Entsendung von Arbeitnehmern. Dies sieht die EU-Richtlinie 2018/957/EU vor. Durch die Änderungen sollen die Rechte der Arbeitnehmer, die von ihrem Arbeitgeber in einen anderen EU-Mitgliedstaat entsandt werden und dort Dienstleistungen erbringen, noch besser geschützt werden.

Bestehende Regelungen zur Entsendung von Arbeitnehmern, wie z.B. die A1-Bescheinigung, sind von den Neuerungen nicht betroffen.

Weitere Angleichung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen bei grenzüberschreitender Entsendung

Mit der Richtlinie 2018/957/EU werden die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen für grenzüberschreitend entsandte Arbeitnehmer, die Dienstleistungen im Entsendestaat erbringen, weiter den Bedingungen für inländische Arbeitnehmer im jeweiligen EU-Mitgliedstaat angepasst.

Außerdem werden die Rolle der EU-Kommission bei der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit und die Maßnahmen bei Verstößen gegen die EU-Richtlinie weiter konkretisiert.

Auf diese Weise soll gewährleistet werden, dass die Dienstleistungsfreiheit und die gleichen Wettbewerbsbedingungen innerhalb des EU-Binnenmarktes nicht zu Lasten der im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit grenzüberschreitend entsandten Arbeitnehmer gehen.

Die Richtlinie 2018/957/EU ändert die Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen. Sie ist 2018 in Kraft getreten und muss von den EU-Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden. Die Maßnahmen sind ab dem 30.07.2020 anzuwenden.

Überblick über die veränderten Regelungen zur grenzüberschreitenden Entsendung von Arbeitnehmern

Nachfolgend werden die wichtigsten Änderungen aus der EU-Richtlinie 2018/957/EU beschrieben. Die Änderungen gelten nicht für den Bereich Straßenverkehr.

1. Weitere Angleichung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen

Bereits zurzeit dürfen sich bestimmte Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen bei einer Entsendung innerhalb der Europäischen Union (EU) nicht von den Bedingungen unterscheiden, die für vergleichbare inländische Arbeitnehmer gelten. Hierzu gehören u.a. die Höchstarbeitszeiten und die Mindestruhezeiten sowie der bezahlte Mindestjahresurlaub.

Beispiel: Identischer Anspruch auf gesetzlichen Mindestjahresurlaub

In Deutschland ist ein gesetzlicher Urlaubsanspruch von 24 Werktagen pro Kalenderjahr gesetzlich vorgeschrieben.

Ein Arbeitnehmer, der von seinem spanischen Arbeitgeber nach Deutschland entsandt wird, um dort für eine deutsche Firma Solaranlagen zu installieren, hat für die Zeit seiner Tätigkeit in Deutschland ebenfalls Anspruch auf einen (ggf. anteiligen) Jahresurlaub von mindestens 24 Werktagen.

Nach der neuen EU-Richtlinie gilt dies auch für die folgenden Sachverhalte:

1. Arbeitnehmerunterkünfte, wenn diese vom Arbeitgeber während der Entsendung gestellt werden
Häufig werden Arbeitnehmer bei ihrer Tätigkeit in anderen Ländern in einfachsten Unterkünften ihres Arbeitgebers untergebracht. Dies soll mit der neuen EU-Richtlinie verhindert werden. Darin ist geregelt, dass Arbeitnehmer, die aus einem EU-Mitgliedstaat in einen anderen entsandt werden, um Dienstleistungen zu erbringen, ggf. in keinen schlechteren Arbeitnehmerunterkünften untergebracht werden dürfen als vergleichbare inländische Arbeitnehmer.

2. Zulagen oder Kostenerstattungen für Reise-, Unterbringungs- und Verpflegungskosten (für Heimfahrten und Entsendungen in weitere EU-Mitgliedstaaten)
Es wird ausdrücklich klargestellt, dass diese Zulagen oder Kosten bei entsandten Arbeitnehmern kein Arbeitslohn sind, wenn damit tatsächliche Kosten einer Heimreise oder einer weiteren Entsendung erstattet werden.

3. Die Entlohnung
Bisher besaßen die entsandten Arbeitnehmer einen Anspruch auf den gesetzlichen bzw. tariflichen Mindestlohn einschließlich einer Überstundenvergütung. Nach der neuen EU-Richtlinie dürfen sich jedoch die allgemein gültigen Lohnbestandteile (per Rechts- und Verwaltungsvorschriften, allgemein gültigen Tarifverträgen oder Schiedssprüchen) nicht von denen eines inländischen Arbeitnehmers mit derselben Tätigkeit und am selben Tätigkeitsort unterscheiden.

Jeder EU-Mitgliedstaat muss seine Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen sowie die einzelnen, allgemeinverbindlich geltenden Lohnbestandteile auf einer offiziellen Website veröffentlichen. Auf der Website der EU-Kommission kann eine Liste der URLs dieser Websites eingesehen werden.

Beispiel: Entsendung von Arbeitnehmern aus Österreich und Slowenien zur Erbringung von Dienstleistungen im Bereich Maschinenbau in Deutschland

Ein Unternehmen aus Österreich wartet eine in Deutschland errichtete Produktionsanlage. Hierzu entsendet es eigene Arbeitnehmer aus Österreich sowie Leiharbeitnehmer aus Slowenien nach Deutschland. Während ihrer Zeit in Deutschland übernachten die Arbeitnehmer in Wohnungen ihres Arbeitgebers. Einmal pro Monat fahren die Arbeitnehmer nach Österreich bzw. Slowenien, um ihre Familien zu besuchen. Anschließend kehren sie nach Deutschland zurück.

1. Die österreichischen und slowenischen Arbeitnehmer dürfen in keinen schlechteren Wohnungen untergebracht werden, als ein vergleichbarer deutscher Arbeitnehmer.

2. Die Kosten, die sie für die Hin- und Rückfahrt nach Österreich bzw. Slowenien erstattet bekommen, gehören nicht zu ihrem Arbeitslohn.

3. Die Arbeitnehmer aus Österreich und Slowenien verdienen während ihrer Tätigkeit in Deutschland - bis auf bestimmte Ausnahmen (wie z.B. die Betriebliche Altersvorsorge) - genauso viel wie ein vergleichbarer deutscher Arbeitnehmer.

2. Arbeitnehmerüberlassung - Leiharbeitsunternehmen sind jetzt auch bei Entsendung in einen weiteren EU-Mitgliedstaat für die Einhaltung der EU-Vorgaben verantwortlich

Wird ein Arbeitnehmer aus einem anderen EU-Mitgliedstaat von dem Unternehmen, das ihn entliehen hat, in einen weiteren EU-Mitgliedstaat entsandt, ist das Leiharbeitsunternehmen jetzt auch in diesem Fall dafür verantwortlich, dass die EU-Vorgaben u.a. nach dieser Richtlinie eingehalten werden.

Das den Arbeitnehmer entleihende Unternehmen muss das Leiharbeitsunternehmen rechtzeitig vor einer geplanten Entsendung informieren.

Beispiel: Entsendung eines Leiharbeitsnehmers aus Polen in die Niederlande wegen Arbeiten im Bereich Landschafts- und Gartenbau

Ein Leiharbeitnehmer aus Polen unterstützt ein Unternehmen in Deutschland beim Landschafts- und Gartenbau. Während der Arbeit für das Unternehmen in Deutschland wird der polnische Leiharbeitnehmer auch für Aufträge in den Niederlanden eingesetzt.

Das Leiharbeitsunternehmen mit Sitz in Polen muss bei der Entsendung des Arbeitnehmers von Deutschland in die Niederlande z.B. darauf achten, dass der Arbeitnehmer für diese Zeit einen Arbeitslohn erhält, der dem eines vergleichbaren niederländischen Arbeitnehmers am Tätigkeitsort entspricht.

3. Arbeitnehmerüberlassung - Leiharbeitsunternehmen müssen dem entsandten Arbeitnehmer gleiche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen garantieren

Die Leiharbeitsunternehmen müssen ihren Arbeitnehmern, die sie einem Unternehmen in einem anderen EU-Mitgliedstaat überlassen, garantieren, dass für sie dort dieselben Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gelten wie für die Arbeitnehmer von inländischen Leiharbeitsunternehmen.

Beispiel: Ein Leiharbeitnehmer (Koch) aus Frankreich wird an einen Arbeitgeber (Restaurant) in Deutschland zur Unterstützung in der Küche entliehen.

Ein französisches Restaurant in Deutschland beschäftigt für eine Übergangszeit einen Koch, der bei einem Leiharbeitsunternehmen in Frankreich angestellt ist.

Das Leiharbeitsunternehmen mit Sitz in Frankreich muss dem entsandten Koch garantieren, dass für ihn dieselben Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gelten wie für einen vergleichbaren Koch, der von einem Leiharbeitsunternehmen in Deutschland an ein Restaurant verliehen wird.

4. Anwendung der arbeitsrechtlichen Bedingungen des EU-Beschäftigungsstaats ab einer Entsendedauer von über 12 Monaten

Dauert eine Entsendung länger als 12 Monate gelten für die betroffenen Arbeitnehmer neben den Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen aus dem Arbeitsverhältnis auch die arbeitsrechtlichen Bedingungen (Arbeitsgesetze) im EU-Mitgliedstaat, in dem sie ihre Dienstleistung gegenüber einem Dritten erbringen. Hiervon ausgenommen sind jedoch die Regelungen zum Abschluss bzw. zur Beendigung von Arbeitsverträgen, zu eventuellen Wettbewerbsverboten und zu einer zusätzlichen Betrieblichen Altersvorsorge.

Das Unternehmen, das den Arbeitnehmer entsendet, kann jedoch bewirken, dass die arbeitsrechtlichen Bedingungen des EU-Aufnahmestaates erst gelten, wenn die Entsendung über 18 Monate andauert. Hierzu muss das Leihunternehmen rechtzeitig vor Ablauf der 12 Monate eine begründete Mitteilung einreichen.

5. Rolle der EU-Kommission bei länderübergreifendem Informationsaustausch wird genauer definiert

In der neuen EU-Richtlinie wird die Rolle der EU-Kommission bei der länderübergreifenden Zusammenarbeit noch genauer als bisher beschrieben: Erhält ein EU-Mitgliedstaat nicht innerhalb einer bestimmten Frist die angeforderten Informationen zur Entsendung eines Arbeitnehmers, muss die EU-Kommission unterrichtet werden. Diese ergreift dann geeignete Maßnahmen.

6. Die Maßnahmen bei Nichteinhaltung der EU-Richtlinie werden konkretisiert

Die EU-Richtlinie sieht außerdem - anders als bisher - ausdrücklich vor, dass die EU-Mitgliedstaaten Vorschriften und Sanktionen erlassen, die bei Verstößen gegen die EU-Richtlinie anzuwenden sind. Die Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Ggf. sind auch rechtliche Schritte einzuleiten.

Umsetzung in Deutschland: Reform des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes

In Deutschland soll die Richtlinie 2018/957/EU durch Änderungen im Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) umgesetzt werden. Es sind u.a. die folgenden Änderungen geplant:

  • Der Begriff Mindestlohn wird in Entlohnung geändert.
  • Bei Entsendungen, die länger als 12 bzw. 18 Monate dauern, werden - bis auf die in der EU-Richtlinie beschriebenen Ausnahmen - die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen des Staates angewandt, in die der Arbeitnehmer entsandt wird.
  • Die EU-Richtlinie kann bei bestimmten Formen der Arbeitnehmerüberlassung angewendet werden, und es gelten bestimmte Informationspflichten für entleihende Unternehmen.
  • Die Voraussetzungen, unter denen die Entsendezulage auf die Entlohnung angerechnet wird, werden klarer beschrieben.
  • Die Auflistung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, die vom Arbeitnehmer-Entsendegesetz umfasst werden, wird entsprechend der EU-Richtlinie angepasst.
  • Die Zollbehörden kontrollieren zukünftig auch die Entlohnung von grenzüberschreitend entsandten Arbeitnehmern.
  • Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz gilt in Zukunft auch bei grenzüberschreitender Arbeitnehmerüberlassung. Entsprechende Informationspflichten werden eingeführt.
  • Für langzeitentsandte Arbeitnehmer gelten - bis auf die vorgegebenen Ausnahmen - die nach deutschem Recht zwingenden Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen.
  • Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz gilt nur, wenn Arbeitnehmer für ihren im Ausland ansässigen Arbeitgeber Dienstleistungen gegenüber einem Dritten in Deutschland erbringen.


Die geplanten Änderungen gelten - wie von der EU-Richtlinie vorgesehen - nicht für den Straßenverkehr.